Die Corona-Krise zeigt seit nunmehr einem Jahr wie mit einem Vergrößerungsglas die Punkte in unserer Gesellschaft, die auch vor der Pandemie schon reformbedürftig waren. Das gilt auch im Hochschulsystem. Der veränderte Blickwinkel auf Studium, Lehre und Führung an Hochschulen bietet trotz der aktuell schwierigen Situation auch Chancen. Das verdeutlichte die Online-Tagung „Bewährungsprobe Pandemie: Welche Lerneffekte nehmen die Hochschulen aus der Corona-Krise für Studium, Lehre und Management mit?“ am 18. und 19. März 2021. In drei Modulen gaben Impuls-Vorträge Einblicke in die Herausforderungen an deutschen und ausländischen Hochschulen im Corona-Jahr.
Die präsentierten Studien und Werkstattberichte rückten insbesondere die bewährten Bedingungen und neu entstandenen Lösungen, um den Herausforderungen zu begegnen, in den Fokus, um so die Lessons Learnt aus der Pandemie für die Zukunft deutlich zu machen.
Alle Programmpunkte beinhalteten darüber hinaus viel Raum für interaktiven Austausch, in dem die Teilnehmenden ihre eigenen Erfahrungen aus dem Corona-Jahr einbringen konnten.
„Die zwei Tage haben gezeigt, dass die Pandemie für Hochschulen viele Herausforderungen aufgeworfen hat. Aber daraus können die Hochschulen für die Zukunft lernen, kreative Lösungsansätze und -formate wurden entwickelt. Nun gilt es, die Lessons Learnt aus dem Corona-Jahr mitzunehmen und aktiv in die Tat umzusetzen”, fasst Prof. Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, zusammen.
In seiner Keynote Speech „Corona’s Lessons for Global Higher Education” stellte Dr. Jamil Salmi, Global Tertiary Education Expert, die internationale Perspektive dar. Nicht nur die Lehre, sondern besonders Forschung und internationaler Austausch leiden unter den Bedingungen der Pandemie. Die Annahme, die Corona-Krise treffe alle gleich hart, sei jedoch ein Mythos. Denn weltweit gesehen bestehen nicht die gleichen Chancen, während hoher Inzidenzen weitgehend von Zuhause aus agieren und auf digitale Lehre auszuweichen zu können. Covid-19 trifft ärmere Länder und ärmere Menschen in besonderem Maße, die Bildungsungleichheit nehme daher noch zu. Covid-19 verschärfe die Unterschiede, jedoch beschleunige die Pandemie in vielen Bereichen auch die Innovationen, so Salmi.
Die deutschen Hochschulen haben es durch eine rasche Umstellung von der Präsenz- auf die digitale Lehre während der letzten beiden Semester weitgehend geschafft, den Studienbetrieb aufrechtzuhalten und bekommen von ihren Studierenden vielfach gute Noten für die Studienorganisation, das zeigen Befragungen des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, und eine Studie des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung e.V. Die Kühne Logistics University und die Universität Luxemburg gaben in Werkstattberichten Einblick in ihr Krisenmanagement. Die Studienlage in praxisorientierten Studiengängen stellte der Präsident des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland, Thorben Kurzbach, dar. Während viele Studierende ihre eigenen digitalen Kompetenzen als gut einschätzen, bewerten sie die digitalen Kompetenzen bei etwa jedem dritten Lehrenden als unzureichend. Für eine nachhaltige Umsetzung digitaler Lehre benötigt es zukünftig neben den technischen Ressourcen und gesetzlichen Rahmenbedingungen dementsprechend vor allem dauerhaft unterstützendes Personal an den Hochschulen.
Tanja Edelhäußer, Universität Konstanz, stellte für den Verein „Familie in der Hochschule“ die besonderen Probleme von Hochschulangehörigen mit Familien- oder Pflegeverantwortung vor. Insbesondere Studentinnen und Wissenschaftlerinnen traf die Pandemie, da sie oftmals die zusätzliche Care-Arbeit übernahmen, die durch Wegfall externer Betreuungseinrichtungen entstand. So zeigen sich in einer Befragung 67 Prozent der Postdoktorandinnen während des 1. Lockdowns in hohem Maße mit familiären Verpflichtungen beeinträchtigt, bei den Postdoktoranden waren es 44 Prozent. Obwohl beobachtet wurde, dass die Publikationsaktivität im Frühsommer 2020 insgesamt stieg, fiel die Aktivität von Wissenschaftlerinnen um 13 Prozent ab. Forscherinnen publizierten im Vergleich zu Forschern weniger. Die Lösungen und Ansätze aus einer Befragung von Hochschulangehörigen stellte Caroline Friedhoff, Projektmanagerin beim CHE, vor. Nötig sei an den Hochschulen eine gute Kommunikation, ein Commitment für die Vereinbarkeit von Familie und Hochschultätigkeit sowie zentrale Strategien und Initiativen für mehr Flexibilisierung, Karriereförderung und Personalentwicklung, um den Gender- und Familiennachteil während der Pandemie nicht noch weiter zu vergrößern. Gemeinsam mit dem Verein Familie in der Hochschule plädiert das CHE u.a. dafür, das Thema Familiengerechtigkeit flächendeckend und dauerhaft auf höchster Leitungsebene zu verankern. Weitere Informationen dazu auch in der CHE-Studie „Der Weg zur familienorientierten Hochschule – Lessons Learnt aus der Corona–Pandemie“.
Einen Vergleich deutscher und internationaler Hochschulstrategien im Umgang mit der Krise stellte Dr. Deborah Werner, CHE-Projektmanagerin in U-Multirank, an und fragte: „Was hat Zukunftspotenzial?“. Sowohl national als auch international wurden die Lehre, das Lernen, Prüfen und Verwaltungsprozesse digitalisiert. Global betrachtet, ist der Anteil digitaler Lehre von drei Prozent vor der Pandemie in der Pandemie auf 73 Prozent angestiegen. Vor der Pandemie fand mit 93 Prozent der Großteil der Prüfungen auf dem Campus statt – in der Pandemie fiel dieser Anteil auf 21 Prozent. Sozialstaatliche Strukturen haben für deutsche Hochschulen negative Folgen abgemildert. Sowohl national als auch international gilt: Hochschulen sollten vorausschauend handeln und an ihrer Resilienz arbeiten.
Helmut Köstermenke, Kanzler a.D., referierte über das Krisenmanagement der Hochschule Ruhr West. Hierbei konnte er aus seinem langjährigen Erfahrungsschatz als Kanzler an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft schöpfen. So benannte er eine klare Kommunikation als einen zentralen Punkt im erfolgreichen Umgang einer Hochschule mit der Krise.
Die Ausnahmesituation an Hochschulen stellte beispielhaft die Präsidentin der HU Berlin, Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst, dar. Die Krisensituation erforderte eine besonders hohe Präsenz, verlässliche Informationen, eine schnelle Entscheidungsfindung und eine enge Abstimmung mit den Hochschulmitgliedern trotz Kontaktbeschränkungen und teils unsicheren Fakten. Die Einrichtung eines professionelles Beschwerdemanagement und die Anerkennung und Wertschätzung aller Beteiligten waren Merkmale ihres Krisenmanagements.
„Welche Instrumente guter Führung waren hilfreich?”, fragte das CHE im Rahmen der Erhebungen zur Auszeichnung des „Hochschulmanager des Jahres“ die Hochschulleitungen in Deutschland. Dabei betonten die meisten Hochschulleitungen Schnelligkeit, Flexibilität sowie offene Kommunikation über die Maßnahmen nach innen und nach außen unter Nutzung aller denkbaren Kanäle. Es habe sich gezeigt, dass nicht allein die Weitergabe von Informationen nötig sei, sondern auch die emotionale Ebene angesprochen werden müsse, um Unsicherheiten bei einer unübersichtlichen Faktenlage wie zu Beginn der Krise zu begegnen.