Etwa jede*r zehnte Medizinstudierende aus Deutschland entscheidet sich für ein Studium im Ausland. Besonders Studiengänge in Ost- und Südosteuropa punkten bei Studierenden mit einem guten Betreuungsschlüssel, kosten aber 10.000 Euro und mehr im Jahr. Dies zeigt eine Auswertung des CHE im Rahmen der Reihe DUZ Spotlight in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift DUZ. Angesichts der aktuellen Debatte um den prognostizierten Fachkräftemangel im Hausarztbereich fordern die CHE Autor*innen deshalb, den deutschen Medizinstudierenden im Ausland mehr Beachtung zu schenken.
Bei der Diskussion um das Medizinstudium und den Hausärztemangel in Deutschland werden die deutschen Studierenden im Ausland weitgehend ignoriert. Dabei macht ihr Anteil aktuell rund zehn Prozent an allen deutschen Medizinstudierenden aus.
Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes für das vergangene Jahr verzeichnet mehr als 9.000 deutsche Medizinstudierende an ausländischen Hochschulen. Zu den fünf nachgefragtesten Ländern zählen dabei neben Österreich etwa Ungarn, Polen, Litauen und Tschechien.
Für das aktuelle Dossier aus der Reihe DUZ Spotlight – Gute Praxis international haben Gero Federkeil, Jelena Hohlweg und Kathrin Müller vom CHE deshalb das Studienangebot im Bereich Medizin in Ost- und Südosteuropa verglichen. Befragt wurden 43 Hochschulen in zehn Ländern. Diese bieten – im Gegensatz zu Hochschulen in der Schweiz, Österreich oder den Niederlanden – zusätzlich Medizinstudiengänge ausschließlich für internationale Studieninteressierte an, in vier Fällen sogar in deutscher Sprache.
Bemerkenswert ist der geringe Stellenwert der Abiturnote im Auswahlverfahren. Spielt diese für ein Medizinstudium in Deutschland eine wichtige Rolle, wird sie bei internationalen Studienbewerber*innen an den befragten ost- und südosteuropäischen Hochschulen nur in jedem zweiten Zulassungsverfahren berücksichtigt. Andere Zulassungskriterien wie Sprachkenntnisse, Motivationsschreiben oder mündliche und schriftliche Tests fallen dagegen stärker ins Gewicht.
„Es ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der deutschen Medizinstudierenden im Ausland den Weg aufgrund geringer Bewerbungschancen für Studienplätze in Deutschland wählt“, sagt Gero Federkeil. Allerdings gebe es für ein Auslandsstudium auch andere gute Gründe, wie die Ergebnisse der Recherchen sowie die Studierendenbefragungen im Rahmen des internationalen Hochschulrankings U-Multirank zeigten.
Punkten können die ausländischen Studienangebote vor allem beim Betreuungsschlüssel. Während an den deutschen medizinischen Fakultäten im Durchschnitt 15,1 Studierenden auf eine Lehrkraft entfallen, müssen sich an den ost- bzw. südosteuropäischen Hochschulen rechnerisch lediglich 11,8 Studierende eine Lehrkraft teilen. Weitere Auswertungen, die das Autor*innenteam auf Datengrundlage von U-Multirank vornahm, zeigten u.a. kleine Lerngruppen, häufig problembasiertes Lernen und den Einsatz innovativer Prüfungsmethoden.
„Vorurteile unterstellen einem in südosteuropäischen Ländern erworbenen Abschluss gern, erkauft zu sein, oder nicht demselben Qualitätsstandard zu unterliegen wie ein Medizinstudium an einer deutschen Universität. Auch wenn keine systematischen Daten zur Qualität der Studiengänge vorliegen, zeigt unsere Analyse doch einige Anhaltspunkte, die gegen solche Vorurteile sprechen“, bilanziert Gero Federkeil.
Für einen Studienplatz an südosteuropäischen Hochschulen müssen deutsche Studierende jedoch in den meisten Fällen hohe Studienkosten in Kauf nehmen. An 70 Prozent der Hochschulen, für die Angaben zu den Studiengebühren vorliegen, belaufen sich die Studiengebühren auf mindestens 10.000 Euro pro Jahr. An mehr als jeder fünften sind sogar rund 15.000 Euro jährlich fällig.
Angesichts des prognostizierten medizinischen Fachkräftemangels, etwa im Bereich der Hausärztinnen und Hausärzte, sprechen sich die Autor*innen des CHE Dossiers dafür aus, der Situation deutscher Medizinstudierenden im Ausland mehr Beachtung zu schenken.
„Unsere Anfragen bei den entsprechenden Behörden haben ergeben, dass es überwiegend keine Kenntnis darüber gibt, ob deutsche Studierende nach ihrem Medizinstudium im Ausland als Arzt bzw. Ärztin nach Deutschland zurückkehren. Abgesehen von einzelnen regionalen Kooperationsprojekten mit ausländischen Hochschulen scheinen sich weder Bildungs- noch Gesundheitspolitik für diese Studierendengruppe zu interessieren. Insbesondere systematische Informationen über den Studienerfolg und Verbleib der Absolventinnen und Absolventen wären hilfreich“, so Gero Federkeil.
Der Schwerpunkt zum Thema ist am 18. Februar im Rahmen der Ausgabe 02/2022 der DUZ erschienen und wurde von Gero Federkeil, Jelena Hohlweg und Kathrin Müller erstellt. Das Dossier ist die zehnte Ausgabe des gemeinsam von CHE und DUZ entwickelten Formats „DUZ Spotlight – Gute Praxis international“, das in loser Folge in der DUZ und auf www.che.de veröffentlicht wird.
Bereits erschienen sind Spotlight-Dossiers zum österreichischen Modell der lebensbegleitenden Matrikelnummer (Ausgabe 09/2017), dem britischen Professional Doctorate (01/2018), dem niederländischen Lehrführerschein (08/18), der Transfergemeinschaft nach Schweizer Vorbild (12/2018), der Etablierung wissenschaftlicher Weiterbildungszertifikate in der Schweiz (11/2019), Instructional Designern im Hochschulbetrieb (02/2020), Lernräumen der Zukunft (08/2020), zu Sozialen Innovationen vom Campus (11/2020), zur Gewinnung internationaler Promovierender (06/2021) sowie gerechten Regelungen beim Hochschulzugang (09/21). Alle Publikationen sind online auf www.che.de abrufbar.