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Als Schulnote nur schwach ausreichend Inklusion: mangelnde Umsetzung und in der Lehrerausbildung unterrepräsentiert Seit etlichen Jahren wird über das Thema Inklusion debattiert, während es im Schulalltag längst Realität sein sollte. Das hehre Ziel eines inklusiven Unterrichts stößt dabei sehr schnell an die Grenzen des praktisch Machbaren, was zu Frustation bei den Lehrer:innen führt, die zudem in ihrer Ausbildung nicht ausreichend Gelegenheit bekommen, sich inklusionsrelevante Kompetenzen anzueignen. Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht – aber werden auch alle Lehr kräfte auf sie vorbereitet? Dieser Fragen gehen Melanie Rischke und Bianca Brinkmann vom Centrum für Hochschul entwicklung in ihrem Gastbeitrag nach. S chulische Inklusion eröffnet allen Men- schen eine qualitativ hochwertige Bildung, sodass sie ihre individuellen Ta- lente und Begabungen entwickeln können. Deutschland hat sich 2009 durch die Ratifi- zierung der UN-Behindertenrechtskonventi- on zur Umsetzung eines solchen inklusiven Bildungssystems verpflichtet. Allerdings verläuft die Realisierung eines inklusiven Bildungssystems in Deutschland noch im- mer schleppend. So stellte es das Institut für Menschenrechte, welches die Umset- zung der UN-Behindertenrechtskonventi- on beobachtet, im August 2023 erneut fest. Dabei wird die individuelle Förderung aller Schüler:innen immer wichtiger – etwa da- durch, dass die Schulklassen heterogener werden. Alle Lehrkräfte müssen daher auf die Arbeit in inklusiven Schulen vorbereitet sein. Befragungen von Lehrkräften zeichnen eher ein düsteres Bild Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) gab 2020 eine Umfrage unter 2.127 Lehr- kräften allgemeinbildender Schulen in Auf- trag. 56 Prozent der Befragten sagten, dass die gemeinsame Beschulung grundsätzlich sinnvoll sei. Jedoch dachten nur 27 Pro- zent, dass diese zu diesem Zeitpunkt prak- tisch sinnvoll umsetzbar sei. Nur wenige der befragten Lehrkräfte gaben an, dass die in- klusiv unterrichtenden Lehrkräfte an ihrer Schule über sonderpädagogische Kenntnis- se verfügten oder dass Inklusion ein Teil der Lehrerausbildung war. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Stu- die des Bayerischen Lehrer- und Lehrerin- nenverbands (BLLV) aus dem Jahre 2022. 695 Lehrkräfte nahmen an der Befragung teil. Sie monierten, dass es in Bezug auf In- klusion u. a. an Personal, Ressourcen und Unterstützungsstrukturen mangele. Das An- gebot von Fortbildungen, die Lehrkräfte auf die Arbeit in inklusiven Schulklassen vorbe- reiten, wurde von den Befragten im Durch- schnitt mit einer Schulnote von 4,3 bewertet. 99 Prozent der Befragten stimmten der Aus- sage (eher) zu, dass der Lehrermangel eine erfolgreiche Inklusion im Schulalltag unmög- lich mache. Aus den Befragungsergebnissen kann man folgern, dass neben der Verbesserung der In- frastruktur insbesondere die Kompetenzen der Lehrkräfte in inklusiven Settings im Mit- telpunkt stehen und es mehr adäquate Fort- bildungsangebote braucht, um die jetzigen Lehrkräfte zu unterstützen. Ein besonderes Augenmerk muss aber auch auf den zukünf- tigen Lehrkräften liegen – also auf Lehramts- studierenden und Lehramtsanwärter:innen im Vorbereitungsdienst. Inklusion ist oft noch kein Leitgedanke im Lehramtsstudium 61 von 71 lehrerbildenden Hochschu- len haben in einer Befragung des Monitor Lehrerbildung angegeben, wie sie Lehramts- studierende auf die Arbeit in inklusiven Schu- len vorbereiten. Das Kooperationsprojekt, an dem die Bertelsmann Stiftung, das CHE Cen- trum für Hochschulentwicklung, die Robert Bosch Stiftung und der Stifterverband betei- ligt sind, hat dies im Jahre 2020 untersucht. Die Hochschulen waren in den letzten Jahren keineswegs untätig: Allgemeine Pflichtver- anstaltungen zu Themen der Heterogenität und Inklusion sind nahezu flächendeckend in den Curricula der Lehramtsstudiengän- ge vorgesehen. Aber spezifischere Kompe- tenzen, die im Zusammenhang mit Inklusion stehen, wie etwa die Gestaltung von sprach- sensiblem Unterricht oder die Arbeit in mul- tiprofessionellen Teams, sind seltener in allen Lehramtstypen als obligatorische Stu- dieninhalte konzipiert. Verpflichtende Lehr- veranstaltungen, die den Kompetenzerwerb zum Arbeiten in multiprofessionellen Teams in den Fokus stellen, gibt es beispielsweise mehrheitlich im Sonderschul- (77 Prozent) und Grundschullehramt (65 Prozent). Hin- gegen gibt es solche Lehrveranstaltungen nur an 53 Prozent der Hochschulen im Lehr- amt für Gymnasien und an 50 Prozent im Berufsschullehramt – dabei ist Multiprofes- sionalität auch an diesen Schulformen eine gefragte und erforderte Kompetenz. Es reicht nicht, dass Studierende vereinzelt die Gelegenheit dazu bekommen, inklusi- onsrelevante Kompetenzen auszubilden. In- klusion sollte stattdessen im Studium ein echtes Querschnittsthema sein, sich al- so wie ein Leitgedanke durch das gesamte Studium ziehen. Dies kann nur geschehen, 12 bildung+ referendare 2023
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LEHRER WERDEN © stock.adobe.com, Im Jahr 2009 hat sich Deutschland für ein inklusives Bildungssystem verpflichtet. Doch bis heute kommt Inklusion als Querschnittsthema in der Lehrkräfte ausbildung zu kurz, wie aktuelle Studien darlegen. wenn es in allen Studienbestandteilen einen festen Platz hat. 60 Hochschulen machten Angaben dazu, in welchen Säulen des Lehr- amtsstudiums sich die Studierenden mit He- terogenität/Inklusion auseinandersetzen. Es zeigte sich, dass dies an fast allen Hoch- schulen in den Bildungswissenschaften der Fall ist (98 Prozent). Nur an 43 Prozent der Hochschulen sind Inhalte zum Thema Inklu- sion in allen Fachdidaktiken verankert, nur an 33 Prozent in den Praxisphasen. Integrierte Studiengänge gibt es noch zu selten Integrierte Studiengänge, in denen Sonder- pädagogik und Regelschullehramt miteinan- der verschränkt sind, eröffnen Studierenden einerseits die nötigen Kompetenzen, um in den Vorbereitungsdienst zu starten und an Regelschulen zu unterrichten. Anderer- seits erhalten die Studierenden aber auch gleichzeitig die Möglichkeit zu einer tiefer- gehenden Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Inklusion. Entsprechende Studienangebote gab es im Jahr 2020 aller- dings nur an 6 von 60 Hochschulen. Alle Akteure der Lehrkräfte- bildung sind nun am Zug Um Lehrkräfte auf die Arbeit in inklusi- ven Schulen vorzubereiten, sind die Akteu- re aller drei Phasen der Lehrkräftebildung gefragt, also des Lehramtsstudiums, des Vorbereitungsdiensts/Referendariats und der Fortbildung. Länder sollten klare sowie länderübergreifende Vorgaben machen, in- novative Studienmodelle ermöglichen und die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Hochschulen sollten im Rahmen des Lehr- amtscurriculums Spielräume nutzen und Inklusion verpflichtend als Querschnitts- thema anlegen. Zukünftigen Lehrkräften sollte die Möglichkeit gegeben werden, be- reits in der Ausbildung Erfahrungen in in- klusiven Settings zu machen und diese zu reflektieren. Auch die weiteren Akteure wie Studienseminare, Zentren für schulprakti- sche Lehrerausbildung oder Landesinstitute sollten in den Prozess einbezogen werden. Natürlich sind auch Lehramtsstudierende, Referendar:innen sowie Lehrkräfte gefragt, in den Dialog einzutreten und ihn in ihrem eigenen Umfeld konstruktiv voranzutreiben. Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess und kann nur gelingen, wenn sie von allen gewollt und gelebt wird. Melanie Rischke, Bianca Brinkmann Centrum für Hochschulentwicklung bildung+ referendare 2023 13








